Einblicke in die Vor-Wirtschaftswunderzeit
im damaligen König im Odenwald
von Katharina Haase, Bad König
„Weißt du eigentlich, warum ich nach Bad König gekommen bin, warum ich dort wohne?“, so fragte mich eine gestandene Bad Königerin. „Das kam alles nur wegen der Sau!“
Es war noch vor der Währungsreform – und vieles wurde bewirtschaftet, so auch die selbst gemästeten Schweine. Man durfte ein ganzes Schwein nur in einem Drei-Personen-Haushalt für sich verbrauchen, anderenfalls war ein Drittel abzuführen. Ein kinderloses Bad Königer Ehepaar hat, um sein Schwein zu retten, kurzentschlossen seiner Nichte bei sich Wohnsitz und Familienanschluss geboten. Diese hatte später auch hier geheiratet und eine Familie gegründet. Diese Sau war demnach ein wirkliches Glücksschwein!
Die meisten Jahre meiner Schulzeit habe ich in der „Alten Schule“ verbracht. Der Schul- und Pausenhof war die Schulstraße – und ein älterer Anwohner – sein Markenzeichen war eine geflickte Schusterschürze – sorgte oft vergeblich für Zucht und Ordnung. Durch ein finsteres Treppenhaus mit einer uralten und schwarz eingeölten Treppe gelangte man zum Klassensaal im ersten Stock, auf halber Höhe, noch in guter Erinnerung, war die Pausenglocke, an der man verbotener Weise mal zog.
Aber eigentlich wollte ich von der Heizung im Klassensaal berichten: Gleich links der Eingangstür stand der gusseiserne, fast mannshohe Füllofen. An einem kalten Wintertag schaffte er es nicht, auf eine normale Raumtemperatur zu heizen – an den Fenstern und in den Ecken war‘s immer kalt, und erst recht auf den Plätzen, um den fast glühenden Ofen, konnte man vor lauter Hitze kaum sitzen. Dabei hätten wir alle angenehme Temperaturen verdient: Denn wir Schüler waren angehalten, zur Verlängerung der rationierten Kohlevorräte regelmäßig ein Scheit Brennholz zum Unterricht mitzubringen.
„Wir mussten innerhalb 24 Stunden heiraten! – Aber nur wegen der 1954 noch üblichen Wohnraumbewirtschaftung“, so erzählte es ein Ehepaar während eines geselligen Abends.
Ein strebsames, bereits verlobtes Paar, beide in Nachbardörfern zu Hause, betrieb bereits gemeinsam in Bad König ein florierendes Geschäft. Natürlich wollte man auch zusammen wohnen und das lästige tägliche Radfahren zum Arbeitsplatz hinter sich lassen.
Plötzlich gab’s ein etwas hämisches Angebot:“ Wenn ihr innerhalb 24 Stunden verheiratet seid, könnt ihr eine Wohnung mieten!“ „Das schaffen wir“, so der Bräutigam. Aber wie ließ sich das arrangieren – mitten in der Woche? Das Geschäft musste ja betreut werden, der Bürgermeister – gleichzeitig auch Standesbeamter des Heimatortes – meinte: „ Es ist Werktag- und wir sind mitten beim Kartoffelausmachen“. Doch man einigte sich ländlich sittlich. Am nächsten Tag nach Feierabend um 9 Uhr war schon die Trauung. Mit dem Fahrrad, aber ohne Hochzeitskleid und ohne Blumenstrauß kam man zur Zeremonie. Anschließender Hochzeitsschmaus fand bei den Eltern des Bräutigams statt: Pellkartoffeln mit Endiviensalat und Wurst. Trotz der Schlichtheit: Es war ein festes Bündnis und dauerte 58 Jahre bis zum Scheiden durch den Tod.
Um den sehr vielen obdachlos gewordenen Menschen Unterkunft zu geben, wurde auch in Bad König Wohnraum konfisziert. So wohnte plötzlich eine ältere Witwe, ausgebombt in Darmstadt, bei uns in einem winzigen Zimmer. Dieses war ausgestattet mit Bett, Schränkchen Tisch, Stuhl und einem schwarzen kleinem Nachkriegsherd. Um diesen kreisten meine Erinnerungen: Immer gab‘s beim Anheizen, wenn sich das Material ausdehnte, einen riesigen Knall. Sogar die Herdplatten hüpften manchmal, sonst war er zum Kochen und Heizen funktionsfähig. Man konnte damals nicht einfach Kohle oder anderes Brennmaterial nach Bedarf kaufen. Unsere Mieterin war fleißig und erfinderisch. Aus einer ausgedienten Wehrmachtsplane nähte sie eine große Tasche und ging den ganzen Sommer fast täglich mit ihr am Grohberg spazieren. Manches Mal durfte ich sie begleiten. Stets kam sie mit gefülltem Beutel zurück, jeder Tannenzapfen, jedes Ast-Rinden – oder Holzstückchen wurde gesammelt und – sehr zum Leidwesen meiner Mutter – im Hausflur vor ihrer Zimmertür gestapelt. So legte sie sich einen ansehnlichen Wintervorrat an. Gerne und mit großer Achtung erinnere ich mich an diese Einquartierung, und jeder Waldspaziergang erweckt bei mir noch heute die Sammlerlust der Kindertage.
(Alle Rechte liegen bei der Autorin.)