Ein Odenwälder entdeckt für Österreich das Kaiser-Franz-Josef-Land in der Arktis
Lokalhistoriker Dr. Peter W. Sattler referiert über Leben und Werk des Polarforschers Carl Weyprecht – Ein Sohn auch Bad Königs
BAD KÖNIG. Im Rahmen der 1200-Jahrfeier der Stadt Bad König findet das ganze Jubiläumsjahr 2017 über einer Reihe von Veranstaltungen, darunter mehrere Vorträge statt. Das Thema des ersten historischen Vortrags war dem bedeutendsten Sohn der Stadt gewidmet: Carl Weyprecht. Im großen Saal der Rentmeisterei beleuchtete Lokalhistoriker Dr. Peter W. Sattler (Mossautal) Leben und Werk dieses Naturforschers. Eingeladen hierzu hatte der Heimat- und Geschichtsverein Bad König e.V.
Dr. Sattler gilt als Weyprecht-Experte, der auch maßgebend zur Vorbereitung des Weyprechts-Jahres 2006 anlässlich seines 125. Todestages durch die Volkshochschule Odenwaldkreis mitgearbeitet hatte. So hat er die Jubiläumsausstellung mit begleitet und ist Mitverfasser der Buches „Polarforschung gestern, heute, morgen“. Auch in anderen Publikationen hat er Leben und Werk Weyprechts vorgestellt. Schließlich hat Sattler auch den Weyprecht-Rundwanderweg im Rahmen der Konzeption der VHS in Zusammenarbeit mit dem Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald in Bad König mit initiiert. Dieser Rundwanderweg in vier Stationen wurde im September 2017 eingeweiht.
Carl Weyprecht wurde in Darmstadt am 8. September 1838 geboren, kam mit vier Jahren nach Bad König und verbrachte dort Kindheit und Jugendzeit etwa zehn Jahre lang. Weyprechts Vater trat als Hofadvokat und Kammerdirektor in die Dienste der Grafen zu Erbach-Schönberg in (Bad) König. Das gräfliche Haus Erbach aller drei Linien stand immer loyal zum habsburgischen Kaiserhaus in Wien. Da lag es auch für den Sohn nahe, in die Dienste Österreichs zu treten. Carl Weyprecht war 18 Jahrealt, als er 1856 in die K. und K.-Österreichisch-Ungarische Kriegsmarine (Triest) eintrat. Zunächst als provisorischer Seekadett, ab 1862 als Schiffsfähnrich, ab 1863 dann als Instruktionsoffizier. 1868 erfolgte die Ernennung zum Linienschiffsleutnant. 1872 erhielt Weyprecht die österreichisch-ungarische Staatsbürgerschaft. Österreich ehrte ihn mit mehreren hohen Orden und bot ihm den persönlichen Adelstitel an, den er allerdings ablehnte.
Ungeklärt bleibt, weshalb sich Carl Weyprecht für den Kriegsdienst zur See entschieden hat. Er besuchte in Darmstadt nach dem Gymnasium (Ludwig- Georg –Gymnasium) die Höhere Gewerbeschule, was die spätere Technische Hochschule und heutige Technische Universität (TU-Darmstadt)wurde. Hier zeigten sich bei Weyprecht bereits Eigenschaften, die seine Neigung zum Seeoffizier kennzeichneten. Auch wird hier angeblich seine praktische Begabung für wissenschaftliche Zwecke offenkundig. Tatsache hingegen ist, dass Österreich eine der größten Flotten in Europa unterhielt, um seine adriatische Küstenlinie zu schützen. Österreich war damals noch größte Landgroßmacht in Europa- abgesehen vom russischen Zarenreich.
Peter W. Sattler ging in diesem Zusammenhang auf die politische Situation in dieser Zeit ein. Im Krieg Österreichs gegen Italien 1866 kämpfte Carl Weyprecht als Unteroffizier mit. Unter dem Kommando des Admirals Wilhelm von Tegetthoff kam es zur für Österreich siegreichen Schlacht bei Lissa in der Adria. Nach dem Tod seines Kapitäns während des Seegefechts übernahm Weyprecht das Kommando und zeichnete sich heldenhaft aus. Nach Admiral Wilhelm von Tegetthoff hatte Weyprecht sein Expeditionsschiff genannt. Zum österreichischen Schlachtruf wurde seit dieser Zeit der Ausspruch „Immer wie bei Lissa“.
1864 wurde Erzherzog Ferdinand Maximilian von Habsburg-Lothringen Kaiser von Mexiko. Nach seinem gewaltsamen Tod 1868 holte das Schiff „Navara“, mit Carl Weyprecht an Bord, seine Leiche zum österreichischen Seehafen Triest zurück, zweifelsohne eine weitere Auszeichnung für Carl Weyprecht.
Carl Weyprecht starb in Michelstadt/Odenwald, wo auch seine Mutter und der Bruder wohnten, am 29. März 1881, nachdem ihn sein Bruder, der Arzt Dr. Robert Weyprecht, aus Wien geholt hatte. In einem Salonwagen kam der schwerkranke Forscher in Michelstadt an. In Bad König liegt er begraben. Das Denkmal mit mächtigen Obelisk und Bildnis des Polarforschers ist eine Stiftung Österreichs.
Eingangs stellte der Referent klar, dass Weyprecht nicht vorhatte, den Nordpol betreten zu wollen, sondern im Rahmen einer Arktisexpedition Forschungen im Polarmeer zu betreiben und vor allem eine mögliche Nord-Ost-Passage von Westen aus durch das nördliche Eismeer zum Pazifik zu suchen und zusammen mit Oberleutnant Julius Ritter von Payer zuerst zu befahren. Linienschiffsleutnant Carl Weyprecht war der Kommandant zur See, Julius Payer hatte das Kommando an Land. Im Juni 1872 war die Mannschaft mit 24 Männern losgefahren, 1874 kam sie heim. Nur der Schiffskoch blieb im ewigen Eis zurück. Weyprecht hatte die Männer selbst ausgesucht, es waren fast alle entbehrungsreiche und ausdauernde zähe Südtiroler, teilweise erfahrene Bergführer. Weyprecht hielt die Expeditionsteilnehmer kameradschaftlich und fürsorglich zusammen. Er führte Tagebuch und schrieb alle Ereignisse akribisch und exakt auf, ebenfalls seine wissenschaftlichen Beobachtungen. In höchsten Notlagen hielt er seine Mannschaft aufmunternd zusammen, indem er die Parole ausgab „Immer vorwärts, niemals zurück!“
Das Expeditionsschiff war ein Segelschiff( Dreimaster) mit einer dampfgetriebenen Hilfsmaschine von 100 PS. Es wurde nach den modernsten technischen Erkenntnissen see- und eistüchtig gebaut und lief in Bremerhaven vom Stapel. Hauptsächlicher Geldgeber war der vermögende Graf Hans Wilczek, der auch den österreichischen Kaiser und die Öffentlichkeit für die Expedition interessierte. Die K. und K. monarchische Expedition war zwar kein staatsoffizielles Unternehmen, trotzdem aber eine Sache der ganzen Monarchie, und nach dem Erfolg wuchs Österreich nochmals zur nationalen Größe und spannte sich damit gegenüber Preußen.
Dass die Mannschaft der Weyprecht-Payer-Expedition mit ihrem Forschungsschiff „Admiral Tegetthoff, vom Eis umschlossen und gefangen, immer weiter nach Norden zum Pol hin abgetrieben wurde, war von der Natur, der Strömung bestimmt und konnte von der Mannschaft nicht korrigiert werden. Es war dem reinen Zufall zuzuschreiben, dass die Landmasse entdeckt wurde, das die Wissenschaftler nach Österreichs damaligen Kaiser „Franz-Josef-Land“ nannten, das übrigens ohne internationale Vereinbarung 1926 russisch wurde und von da an „Semlja Frantsa Josifa“ heißt. Die Mannschaft musste das vom Eis eingeschlossene Schiff verlassen, um über Eis und meterhohem Schnee mit den Booten und Schlitten die offene See zu erreichen. Dort nahm sie ein russisches Walfangerbot auf und rettete ihnen das Leben. Es war eine große Sensation, als sich die Nachricht verbreitete, dass die tot geglaubte Mannschaft noch am Leben sei und dazu noch eine großartige Entdeckung gemacht hatte.
Bei dieser Expedition in das Polarmeer entdeckten die Wissenschaftler die nördlichste Landmasse der Erde, eine Inselgruppe, eben „Franz-Josef-Land“. Angeregt zu dieser Fahrt wurde Weyprecht durch den Gothaer Geografen Dr. August Petermann, den er auf einer Tagung in Frankfurt am Main kennen gelernt hatte. Später ist in die Geschichte die berühmt gewordene Feststellung eingegangen „Ohne Frankfurt kein Franz-Josephs-Land“. Gelegentlich eines Kurzaufenthalts in Frankfurt/Main besuchte Weyprecht auch seine Eltern in (Bad) König im Odenwald und hielt im „Hotel Büchner“ einen Vortrag über seine Vorexkursion ins Polarmeer, die er zusammen mit Julius Payer unternommen hatte.
Petermann glaubte, dass während des Polarsommers eine Fahrrinne durch das Eismeer frei sei, um eine Passage von West nach Ost, also vom Atlantik zum Pazifik zu finden. Außerdem wurde der Golfstrom als westliche Wärmeströmung und der Koroschio-Strom als östliche Wärmeströmung und deren Zusammentreffen im Eismeer sein Übriges dazu tun, diese Bewegungsfreiheit zwischen der Barents-See und der Beringstraße per Schiff zu ermöglichen. Petermann irrte deutlich. Zurzeit Weyprechts gab es im Eismeer noch keine eisfreie Rinne. Heute ist übrigens eine freie Durchfahrt kein Problem mehr. Durch die Erderwärmung schmilzt die Eisdecke unaufhörlich, die Fahrrinne ist die meiste Zeit eisfrei und kann ohne Eisbrecher befahren werden. In den Anfängen des 21.Jahrhunderts gibt es regelrechte Linienfahrten mit einem russischen Eisbrecher mit Ausflug auf das „Franz-Josefs-Land“. „Jedermann kann die Fahrt buchen“, erklärte der Vortragende an diesem Abend des 8.März
2017 in Bad König.
Die Nord-Ost-Passage ist 6.500 km lang. Die erste Gesamtdurchfahrt mit einer Überwinterung gelang in den Jahren 1878/79. Erst 1932 befuhr ein russischer Eisbrecher die erste Durchfahrt ohne Unterbrechung. Zum Vergleich: Die Nord-West-Passage ist ein 5.780 km langer Seeweg und verbindet den atlantischen und pazifischen Ozean nördlich des amerikanischen Kontinents. Roald Amundsen gelang die erste komplette seemännische Durchfahrt in den Jahren 1903 bis 1906.
Carl Weyprecht hat nicht nur den Archipel Franz-Josef-Land im Polarmeer der Arktis, den nördlichsten Teil Eurasiens, entdeckt, sondern mehrere wissenschaftliche Publikationen von Weltgeltung verfasst, darunter solche zu Beobachtungen über das Polareis, der Polarlichter, magnetischer Erscheinungen und allgemeiner Ozeanografie. Weyprecht wird zu Recht als „Wanderer zwischen den Wissenschaften“ genannt. In den Wissenschaften Geographie, Nautik, Ozeanografie, Glaziologie, Meteorologie, Geophysik und Astronomie fühlte er sich gleichermaßen zu Hause. Auf ihn geht die spätere Gründung der „Internationalen Polarjahre zur systematischen Erforschung der Polarwelt“ zurück, die erstmals 1882 stattfand und bis zum heutigen Tag fortgesetzt wird. 1996 wurde die „Payer-Weyprecht-Gesellschaft“ gegründet. Eine Verdienstmedaille, die von der „Deutschen Gesellschaft für Polarforschung“ verliehen wird, ist nach Carl Weyprecht benannt. 2003 wurde in Frankfurt am Main der „Frankfurter Polarclub“ ins Leben gerufen, dessen prominentes Mitglied die Urgroßnichte von Carl Weyprecht ist: Dr. Heidi von Leszczynski , die in Erbach-Erlenbach wohnt , am Vortragsabend in Bad König anwesend war und dort ein stets gern gesehener Gast ist.
Der Polarforscher Fridtjof Nansen benannte einen Meeresteil im Nordpolarmeer „Weyprecht-Bay“. An vielen Stellen in Österreich gibt es Denk- und Erinnerungsmäler, die an Leben und Werk Weyprechts erinnern. Eduard Strauß komponierte sogar einen „Weyprecht-Payer-Marsch“, den
der hiesige evangelische Posaunenchor zu spielen gelernt hat.
Besonderes Augenmerk lenkte der Vortragende auf Erinnerungsbekundungen im Odenwald. In Darmstadt, Michelstadt und Bad König- da sogar eine Schule (Carl Weyprecht Schule-CWS Bad König)- sind Straßen nach diesem Wissenschaftler benannt. In Michelstadt erinnert auch ein Brunnen an den Arktisforscher und vor seinem Sterbehaus in Michelstadt, Braunstraße 26, ist im Gehsteig eine Bronzetafel mit Lebensdaten und Würdigung seiner Arbeit eingelassen. An der Fassade des Wohnhauses im Schlossbereich in Bad König, in dem die Familie Weyprecht wohnte (jetzt Heimatmuseum), ist eine Hinweistafel auf Carl Weyprecht angebracht. Vor der Rentmeisterei in Bad König wurde eine Büste aufgestellt, die den berühmten Sohn der Stadt in Erinnerung hält.
Über 140 Jahre nach der erfolgreichen Rückkehr der Männer der Nordpolarexpedition im Jahr 1874 ist Carl Weyprecht nicht vergessen, weder in der wissenschaftlichen Welt noch in breiten Schichten seiner Odenwälder und österreichischen Landsleute. Die Jugendzeit in König im Odenwald verlebt, in Michelstadt verstorben und nach einem reichen Forscherleben in Bad König zu Grabe getragen, sind markante Epochen seines bewegten Lebens. Was dazwischen liegt, war ein Leben für die Wissenschaft und Forschung. Carl Weyprecht: Wanderer zwischen den Wissenschaften, ein Polarforscher aus dem Odenwald.